Effata, öffne Dich!
Kommentar zum 23. Sonntag im Jahreskreis von Sr. Danièle Faltz (8.9.2024)
Wir hören am Sonntag in der Eucharistiefeier eine Heilungsgeschichte. Sicher ist es kein Zufall, dass der Evangelist dieses Ereignis außerhalb der Grenzen Israels situiert. In einem anderen Kontext hat Jesus nämlich durchblicken lassen, dass er für die Kinder Israels gekommen ist (Mt 15,24). Hier durchbricht Jesus eine Grenze, vor allem innerlich, im Hinblick auf seine Mission. Er öffnet sich einem neuen Aspekt, einem tieferen Verständnis seiner Mission. „Effata, öffne Dich!“
In diesem fremden Land wird ihm ein Mann vorgestellt, der taub ist und kaum sprechen kann. Spontan geht Jesus auf seine Bitte ein. Er nimmt den Mann beiseite, - ein Zeichen großen Respekts - denn schwerhörige Menschen verstehen inmitten einer lebhaften Gruppe kaum ein Wort, während sie im Einzelgespräch manches aufnehmen können. Der Taubstumme wird geheilt durch Gesten, in denen Jesus seine Nähe spürbar macht; er berührt seine Ohren, er berührt seine Zunge und spricht ein kraftvolles Wort: „Effata, öffne Dich!“
Wenn das Evangelium in unserem Leben Früchte tragen soll, müssen wir versuchen herauszufinden, was diese Heilungsgeschichte mit unserem Leben zu tun hat. Klinisch sind natürlich die meisten von uns weder gehörlos noch stumm, wenn auch viele ältere Menschen schwerhörig sind. Sie leiden darunter, dass sie nicht am Gemeinschaftsleben teilhaben können. Alle sitzen am Tisch, einer erzählt, alle lachen, nur der schwerhörige Mensch weiß weder um was es geht, noch warum alle lachen. Und weil er sich nicht am Gespräch beteiligen kann, spricht er selbst immer weniger und fühlt sich ausgeschlossen. Diese Ausgrenzung wird, unausgesprochen, den Mitmenschen manchmal zum Vorwurf, was natürlich das Gemeinschaftsleben belastet. Auch diesem Menschen sagt Jesus: „Effata, öffne Dich!“, sprich Deine Not aus, sei einfach genug, um nachzufragen und Deinen Wunsch nach Teilnahme kundzutun.
Ohne schwerhörig zu sein sind auch wir oft taub z.B., wenn wir nicht einmal merken, dass wir besser artikulieren sollten im Beisein von schwerhörigen Menschen oder, wenn es darum geht, auf einen Menschen einzugehen, der uns braucht, und dies gerade nicht in unseren persönlichen Zeitplan passt. Wir schließen auch schon mal Augen und Ohren, wenn wir die schrecklichen Bilder von Krieg oder Naturkatastrophen sehen; kein Unbehagen soll uns aus unserem Komfortparadies vertreiben
Auch sind wir manchmal gefangen in unseren Vorurteilen, sowie der Gehörlose möglicherweise gefangen ist in seiner Isoliertheit und Einsamkeit. Oft sind wir besonders taub, wenn es darum geht, das Wort Gottes in unser Leben aufzunehmen und umzusetzen. Stumm sind wir auch z.B., wenn wir nach einem Streit keine Worte der Versöhnung finden, wenn wir uns davor sträuben, die Stimme zu erheben um auf eine Ungerechtigkeit hinzuweisen, wenn wir nicht bereit sind, Erfahrungen mit andern zu teilen, wenn wir lieber auf unsern Smartphone oder Bildschirm starren, als uns auf ein Gespräch einzulassen. Auch uns sagt Jesus: „Effata, öffne Dich!“
Wie immer, wenn wir das Evangelium lesen, spricht auch dieser Text uns von Gott. Jesus heilt, indem er sich dem Menschen zuwendet, so wie Gott sich seinem Volk zuwendet. Er steckt seine Finger in die Ohren des Gehörlosen, eine wirksame Geste gleich der Schöpfungskraft Gottes in Psalm 8 : „Ich sehe den Himmel, das Werk deiner Finger“. Die neue Schöpfung, die im auferstandenen Christus beginnt, wird auch angedeutet, wenn die Menschenmenge außer sich vor Staunen ruft: er hat alles gut gemacht! Erinnert dieser Satz uns nicht an die Worte im Schöpfungsbericht: „Und Gott sah, dass es gut war.“?
Dieser Text ist weit vielschichtiger als eine einfache Heilungsgeschichte. Er bezeichnet Jesus als den Gesandten, der gekommen ist, Gottes Schöpfung zu vollenden, und zwar dadurch, dass er uns zur Offenheit gegenüber Gott und den Menschen und damit zur ewigen Gemeinschaft befähigt.